Kritik: WDR zensiert die Umweltsau

Kurz bevor das Jahr 2019 endete, gab es einen Eklat im öffentlich- rechtlichen Fernsehen: der WDR veröffentlichte ein Video mit dem Kinderchor, der ein altes Lied modern interpretiert. Weshalb ich nicht die Umweltsau, sondern den Umgang mit ihr kritisiere, erläutere ich in diesem Beitrag.

Symbolfoto. Heutige Omas werfen ihren Gehstock weg, schwingen sich auf das Motorrad und fahren durch Wälder und zugemüllte Seen. (Bildquelle: garbage-on-body-of-water-2480807 / panoramic-shot-of-sky-247763 / asphalt-dark-dawn-endless-531321 / person-riding-motorcycle-1628164 / photo-of-man-riding-motorcycle-1430931 / man-sitting-on-bench-2373724 von pexels.com)

Eigentlich kennt jeder das Lied Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad- denn es wurde bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, vermutlich während des zweiten Weltkriegs, in der heute bekannten Fassung veröffentlicht. Seitdem haben es unzählige Generationen an Kindern (und Erwachsenen) vergnügt gesungen. Am 27. Dezember 2019 veröffentlichte der WDR eine eigene Version, mit der gleichen Melodie, aber mit einem neuen Text. Keine 24 Stunden später löschte der öffentlich- rechtliche Sender das Video von Facebook, wo es zuvor hochgeladen worden war und eine hitzige Debatte entbrannte, Neonazis bedrohten einen freien WDR- Redakteur und sogar NRW-Minister Armin Laschet mischte in der Diskussion mit. Und das alles wegen einem Kinderlied... Halt! Noch einmal langsamer!

Der WDR- Kinderchor aus Dortmund studierte das Lied ein, indem es unter anderem heißt:

"Meine Oma brät sich jeden Tag ein Kotelett, ein Kotelett, ein Kotelett,
weil Discounter- Fleisch so gut wie gar nichts kostet.
Meine Oma ist ´ne alte Umweltsau."

Bevor ich das Lied zum ersten Mal gehört hatte, war ich im Videotext über die Meldung gestoßen, dass der WDR mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, Kinder für eine bessere Welt zu instrumentalisieren und sich für das Video entschuldigte. Als ich das Lied dann selbst hörte, dachte ich mir nur: Was soll das Theater? Der Text ist doch stimmig!
Während einige amüsant über das Lied lächeln können, haben sich binnen weniger Stunden leider viele Menschen negativ zu der Veröffentlichung geäußert- hauptsächlich Nutzer von sozialen Medien, die sich hinter anonymen Accounts verstecken und denken, sie könnten dadurch straffrei Beleidigungen und Bedrohungen aussprechen. So wurde ein freier WDR- Redakteur sogar im realen Leben bedroht, weil er auf Twitter schrieb, dass der Text eigentlich drastischer lauten müsste, indem aus der Umweltsau eine Nazisau wird. Auch das ist wahr, denn viele Menschen, die in der Zeit um den zweiten Weltkrieg herum gelebt haben, haben leider Hitler und sein Nazi- Regime gewählt und waren damit eben Nazis. Natürlich nicht alle Einwohner Deutschlands, aber immerhin die Mehrheit, wie der schwärzeste Teil der deutschen Geschichte eindeutig belegt.

In diesem Beitrag soll es aber um den wirklichen Text, die Umweltsau gehen. Ich stimme den Zeilen voll und ganz zu- auch wenn man hier wieder ein wenig differenzieren muss. Im Lied ist neben dem Discounter- Fleisch auch die Rede von einem SUV, mit dem die fiktive Oma zum Arzt vorfährt und von Benzin, welches sie sorgenlos tankt. Das alles entspricht der Realität, denn die wenigsten Deutschen fahren ein Elektroauto, viele wollen nicht einmal umsteigen. Der SUV steht bildlich für die bulligen Autos auf unseren engen und kaputten Straßen, die mal eben angeworfen werden, um ein paar Meter zu fahren. Auch das entspricht der traurigen Realität. Selbst das eingangs erwähnte Discounter- Fleisch ist tagtäglich in den Läden zu sehen. Oftmals werden 100 Gramm Hackfleisch für 0,39€ (manchmal auch 0,29€) verscherbelt, erst in der letzten Woche sah ich Schweinefilets für 0,69€. Hier taucht natürlich wieder die Frage nach dem Wert eines Lebens auf- offenbar stets unter einem Euro- zumindest wenn es um jenes von Tieren geht, die ja im allgemeinen Sprachgebrauch gerne als Nutztiere bezeichnet werden, um das millionenfache jährliche Schlachten zu rechtfertigen.
Was bitte ist nun falsch daran, dass Kinder Missstände besingen und dieser Text in weitere Generationen fortgetragen wird? Man könnte sie dadurch ja für aktuelle Themen sensibilisieren, die schließlich uns alle etwas angehen. Und Kinder umso mehr, da sie unsere Zukunft sind...

Einige behaupten, der Kinderchor sei instrumentalisiert worden und die Beteiligten hätten nicht gewusst, was sie da genau singen. Sicher, das wird bei einigen zutreffen, allerdings sind die Kinder ungefähr sieben bis acht Jahre alt, so verstehen sie die Kernaussage des Textes- dass jemand verschwenderisch mit Ressourcen umgeht. Weshalb die fiktive Oma tausend Liter Super tankt und was an Discounter- Fleisch schlecht sein soll, werden sie dagegen nicht auf Anhieb verstehen. Manche forderten eine Entschuldigung, da die ältere Generation Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut hat. Ein bisschen Nachdenken hilft bei dieser absurden Forderung: Die Kinder sind wesentlich jünger, weshalb auch ihre Großeltern jünger sind und der Text eher jene meint, die sich nicht gegen die fatale Einführung der Atomkraft, den Kohleabbau, eine vermehrte Plastiknutzung, Waffenexporte sowie gegen eine fortschreitende Industrialisierung einsetzten. In fünfzig Jahren wird sich übrigens unsere Generation den Vorwurf gefallen lassen müssen, weshalb wir nicht gegen die zahlreichen Umweltskandale, die AfD oder Trump auf die Straße gegangen sind!
Natürlich waren es wieder einmal die (a)sozialen Medien, die aus einem witzigen Kinderlied mit einigen gehörigen Seitenhieben einen Skandal gemacht haben. So konnte man von etlichen Nutzern lesen, dass sie aufhören wollen, den Rundfunkbeitrag zu bezahlen (dass sie es aktuell tun, sei mal dahingestellt) und dass man den Verantwortlichen kündigen sollte. Wie immer, seit es Facebook, Twitter & Co. gibt, will jeder mal auf den Sturm der Entrüstung aufspringen.
Früher hatten sich Tierschützer auch nicht darüber aufgeregt, dass die Oma mit dem Motorrad durch den Hühnerstall fährt (und damit wahrscheinlich das ein oder andere Lebewesen auf dem Gewissen und den Stall mit giftigen Abgasen ausgeräuchert hat), denn es ist nur ein lustiges Kinderlied. Nun wurde ein etwas ernsterer Text gedichtet, der vollkommen mit der Realität übereinstimmt und es wird ein Skandal daraus gemacht. Meinungsfreiheit ist eben Ende 2019/ Anfang 2020 nicht mehr erwünscht.

Leider trug der WDR selbst zu der Debatte bei, indem man das Video schnell als "Satire" abtat. Damit wollte man offenbar die ersten erhitzten Gemüter besänftigen. Als sich die negativen Kommentare häuften, wurde das Video von Facebook gelöscht, was ich als zweiten Fehler des Fernsehsenders erachte. Als drittes folgten Entschuldigungen und Rechtfertigungen der Verantwortlichen. Wäre der WDR standhaft geblieben, hätte das Video nicht gelöscht und sich nicht bei allen entschuldigt, die sich durch die Zeilen angesprochen fühlten, wäre vermutlich schneller wieder Ruhe eingekehrt. Es ist schade, dass man heute sofort als linksradikal eingestuft wird, wenn man auf Missstände in der Umweltpolitik aufmerksam macht. Meistens kommen diese Vorwürfe übrigens aus dem rechten Lager. Fakt ist, unsere Gesellschaft ist tief gespalten und wie man an dem neuesten Ereignis sehen kann, wird man für das Aussprechen der Wahrheit auch noch bedroht. Dass sich die Bürger damit ihr eigenes Recht der freien Meinungsäußerung in Zukunft verwirken, bemerken sie in ihrem gegen alles und jeden gerichteten Hass nicht einmal.

Fazit

Meine Oma ist ´ne alte Umweltsau ist ein Text für jüngere Generationen, der vor allem Tierschützer und umweltbewussten Menschen aus dem Herzen spricht. Leider wurde er völlig zu Unrecht als Satire bezeichnet und gelöscht, statt dauerhaft im Radio ausgestrahlt oder als Intro für eine neue Wissensshow im öffentlich- rechtlichen Fernsehen genutzt zu werden. Die völlig überzogenen Reaktionen aus dem (meist) rechten Lager zeigen deutlich, wie sehr Deutschland in Sachen Klimaschutz, Tierschutz und Meinungsfreiheit anderen Ländern hinterherhinkt. Meine Forderungen: die Zensur der Umweltsau beenden und weitere Kinderlieder umdichten, deren Texte an Schulen gelehrt werden können, denn wenn die Erwachsenen nichts an ihrem schädigenden Verhalten ändern wollen, müssen mal wieder deren Kinder den Karren aus dem Dreck ziehen.

Eine kleine Bemerkung am Rande: Greenpeace hat am 17. Dezember 2019 eine neue (ebenfalls gerechtfertigte) Aktion gestartet und viele Plakate in den Städten verbreitet, in denen gefordert wird, kein Retourensohn zu sein. Auch wenn hier sofort jeder Bescheid weiß, welches eigentliche Schimpfwort umgedichtet wurde, blieb ein Skandal aus. Es muss also wohl doch nicht immer alles künstlich aufgebauscht werden.

Weiterführende Links zum Thema
ruhr24.de- "Oma"-Lied des WDR: Rechte demonstrieren vor Sender in Köln
watson.de- Generationenforscher zum "Umweltsau"-Streit: "Das zeigt die Macht der Boomer"
deutschlandfunk.de- Empörung kam laut Analyse von rechts
spiegel.de- Die Empörungsmaschine läuft heiß
Merkur.de- Morddrohungen nach WDR-Video: "In unserem Land ist etwas richtig krank"
t-online.de Herr Buhrow, wir müssen reden!
greenpeace.de- Sei kein Retourensohn!