Gaffer im Wahn


Anfang Februar 2019 gab es in der Stadt einen Brand. Weshalb ich die Schaulustigen, die nahegelegenen Schulen und sogar die Polizisten kritisiere, erkläre ich nachfolgend.

Hinweis: Das oben abgebildete Foto entstand vier Tage nach dem Brand. Die Straße war nicht mehr gesperrt, alle Rettungskräfte waren längst an anderen Einsatzorten. Anders, wie die in diesem Beitrag dargestellten Personen habe ich für dieses Foto niemanden behindert und auch keine Rechte gegenüber Dritten verletzt.
Als ich gegen 11 Uhr in der Stadt war, wunderte ich mich, weshalb so viele Schüler durch die Straßen streiften. Auf dem Rückweg wollte ich noch eine Kleinigkeit einkaufen, wobei ich schon von weitem eine riesige schwarze Rauchwolke sah. Die Stelle lokalisierte ich bis auf wenige Meter genau- es sollte direkt vor dem Supermarkt sein, der mein Ziel war. Auf den Haupt- und Nebenstraßen ging gar nichts mehr, da die Feuerwehr einen mehr als faustdicken Schlauch an einen Hydranten angeschlossen hatte, der auf der Straße lag und durch den das Wasser für die Brandlöschung gepumpt wurde.
Ich war noch etwas entfernt, erkannte vom Gehweg aus aber schon, dass nicht der Supermarkt brannte, sondern eine Lagerhalle auf der anderen Straßenseite. Die Schüler, welche ich in der Stadt vereinzelt gesehen hatte, sammelten sich am Unglücksort zuhauf und sahen sich das Geschehen belustigt an. Der Straßenabschnitt vor der brennenden Lagerhalle war von der Polizei gesperrt worden, ebenso die Hälfte des Supermarktparkplatzes. Dies hielt aber weder die Schüler, noch Erwachsene davon ab, sich zu Heerscharen von Gaffern zu entwickeln und den hart arbeitenden Feuerwehrmännern, Feuerwehrfrauen sowie den Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen zuzuschauen. Wie es bei modernen Gaffern (leider) so üblich ist, hatten die meisten ihre Smartphones auf die Szenerie gerichtet. Ich musste mich an dutzenden Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen vorbeiquetschen, um in den Supermarkt zu gelangen, denn anders wie den Schaulustigen, war mir weder daran gelegen, dem scheinbaren Spektakel beizuwohnen, noch die Einsatzkräfte zu behindern oder Fotos vom Brand zu schießen. Nach meinem kurzen Einkauf (der Supermarkt war leer) ging ich nach Hause und informierte mich im Internet über das Ereignis, wo auch schon stand, was genau passiert war und dass der Brand bereits seit über einer Stunde andauerte. Zeitgleich gab die Feuerwehr eine Warnung an alle Stadtbewohner heraus, da giftige Dämpfe entstanden waren und man sich weder auf der Straße aufhalten, noch die Fenster geöffnet lassen sollte. Die Feuerwehr benötigte über drei Stunden, bis sie den Brand gelöscht hatte, musste aber bis abends noch Glutnester eindämmen.

Wo kein Gaffer, da kein Ereignis

Es ist schlimm, mitansehen zu müssen, wie die heutige Technik uns zu immer schlechteren Menschen macht. Zwar gab es schon früher, vor der unsäglichen Smartphone- Ära, Gaffer, doch damals haben sie bloß dumm zugeschaut. Heute- wie ich es selbst hatte beobachten können- werden die Einsatzkräfte durch stures Herumstehen behindert und Videos angefertigt, die auf YouTube hochgeladen werden. Die Polizei war gegen die über einhundert Schaulustigen machtlos, hielt sie zwar im Zaum, aber unterband die zahlreichen Foto- und Videoaufnahmen nicht.
Man muss sich schon fragen, wie voyeuristisch veranlagt und likegeil man sein muss, um einen Brand zu filmen und ihn ins Internet hochzuladen. Diejenigen, die sich besonders viele Klicks von der Katastrophe versprachen, liefen filmend zur Unglücksstelle, um auch ja die beste Perspektive zu erhaschen. Es war für mich erschreckend, zu beobachten, dass selbst Grundschulkinder ein riesiges Smartphone besaßen, welches sie auf das Feuer richteten. Aber auch ältere Menschen, die im Café neben dem von mir besuchten Supermarkt saßen, machten eifrig Bilder und Videos, einige der Senioren blieben lieber drinnen im Warmen und aßen ihre fetthaltigen Backwaren beim Anblick des Brandes. Wo sie sich früher über die Jugend beschwerten, haben sie sich heute längst selbst dem Mainstream und der Meinung angeschlossen, man müsse jedes Unglück für das private Sensationsalbum festhalten.

Meine Kritik zur Katastrophe

Neben den reichlich vorhandenen Gaffern, gilt meine Hauptkritik der nahegelegenen Berufsschule sowie der daran angrenzenden Grundschule. Hatte man den Schülern etwa um zehn Uhr extra frei gegeben, damit sie dem Brand beiwohnen können? Wie verantwortungslos wäre denn das?! Bei den Grundschülern handelte es sich immerhin um Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren, die statt in der sicheren Schule zu sein, einfach so durch die Stadt liefen und sich den Brand angeschaut hatten. Was alles hätte passieren können, wenn ein leichtsinniges Kind für einen in seinen Augen besonders tollen Schnappschuss an den vielbeschäftigten Polizeibeamten vorbeigeschlichen wäre, mag man sich gar nicht vorstellen. Beinahe im Sekundentakt gab es kleinere Detonationen, die von den in Brand geratenen Produkten einer ebenfalls betroffenen Firma ausgingen. Laut einer wenig seriösen Zeitung waren sogar Trümmerteile durch die Gegend geflogen. Wie lief das Ganze ab? Vielleicht gab es eine Durchsage der Direktion, wie in folgendem Szenario:
Liebe Schüler und Schülerinnen, die weiteren Unterrichtsstunden fallen aus, weil eine nahegelegene Firma brennt.
Schüler: Juhu, kein Mathetest! Lasst uns mal da hin gehen, um ein paar Bilder zu machen.
Und wie muss es erst in der Schule nebenan abgelaufen sein, in der Jugendliche nach ihrem Schulabschluss Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen erlernen?
Liebe Schüler, die nächste Stunde fällt wegen einem Brand in einer Firma aus.
Schüler: Geil! Lasst uns dorthin rennen, Bro´s und ein paar Vids drehen. Wetten, dass ich die meisten Likes kriege?

Ein befremdliches Szenario, welches so oder so ähnlich stattgefunden haben könnte. Da die beiden Schulen zwar nahe am Brandort gelegen, dennoch weit genug entfernt waren, gab es keine Räumung. Auch in den Onlinemedien stand nichts über die anwesenden und gaffenden Schüler- vermutlich, um kein schlechtes Licht auf die öffentlichen Einrichtungen zu werfen. Ich betone noch einmal, dass die älteren Schüler darin Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen erlernen- was sie offenbar nicht davon abhielt, im Weg herumzustehen und sich ziemlich unsozial zu verhalten. Das war meiner Meinung nach grob fahrlässig, denn die Kinder und Jugendlichen liefen unbeaufsichtigt zu einem Großbrand! Selbst diejenigen, die als eher vernünftig gelten, werden durch den Gruppenzwang oder die innere Neugier zu dem Geschehen gerannt sein. Die wenigen Polizisten vor Ort wären kaum in der Lage gewesen, einen Mob aus dutzenden Kindern und Jugendlichen zurückzuhalten.
Während des Brands wurden etliche Videos und Fotos geschossen und auf die bekannten Social Media- Plattformen hochgeladen, weshalb ich auch die Plattformen selbst kritisiere. Beispielsweise auf YouTube waren schon um 11:30 Uhr fünf Videos zu sehen. Das kann nicht mit "Informationsfreiheit" beschönigt werden, denn für solche Fälle ist die ausgewiesene Presse zuständig. Gibt es in unserer technisierten Zeit keine Filter, die verhindern, dass solche Katastrophen hochgeladen werden? Weshalb werden diese Videos selbst Jahre nach ihrem Upload nicht gelöscht? Liegt es allein an den Werbeeinnahmen, da jeder Klick von Voyeuristen den Plattformen bares Geld beschert? Dutzende Einsatzkräfte und unbeteiligte Passanten sind auf diesen Videos zu sehen. Dies führt zum nächsten Kritikpunkt, denn wer denkt bei all dem Wahn noch an die geltende DSGVO? Stellt nicht jedes Foto, auf dem eine Person oder mehrere Menschen zu sehen sind, seit 2016 eine personenbezogene Datenspeicherung dar? Wieso wird es dann geduldet, dass solche Aufnahmen hochgeladen werden? Mussten wir Blogger noch im letzten Jahr zahlreiche Änderungen übernehmen, um utopischen Geldstrafen zu entgehen, scheinen strafbare Aufnahmen heute wieder allen egal zu sein. Hier muss ich auch die Polizei kritisieren, die zumindest die Personalien von einigen der erwachsenen Hobbyfilmer hätte aufnehmen können, wenn schon keine Platzverweise ausgesprochen und die Gaffer hinter dem Absperrband geduldet wurden.

Zu guter Letzt ist es fragwürdig, weshalb das betroffene Areal nicht komplett gesperrt wurde, immerhin gab es im Radio und im Internet die Information, dass sich wegen giftiger Dämpfe niemand auf der Straße aufhalten und man selbst Fenster geschlossen lassen sollte. War man nicht Herr über die Lage oder haben die entsprechenden Behörden versagt?

Fazit

Auch wenn bei dem Firmenbrand "nur" ein Feuerwehrmann leicht verletzt wurde, so sollte Gaffern doch bewusst sein, dass sie durch ihre bloße Existenz jene Menschen behindern, die ihr Leben dafür einsetzen, um anderen zu helfen. Es ist auch im Jahr 2019 nicht in Ordnung, Bilder und Videos von Katastrophen ins Netz zu laden, schon gar nicht, wenn zahlreiche Personen ungefragt darauf zu sehen sind. Wenn schon solche Gesetze wie die DSGVO verabschiedet werden, müssen entsprechende Verstöße dagegen auch gefälligst geahndet werden, denn nur weil der Brand an einer Hauptstraße geschah, legitimiert dies nicht, dass personenbezogene Daten von Passanten erhoben und im Netz verbreitet werden.
Niemand sollte einer Katastrophe gaffend beiwohnen, denn wer selbst einmal in der Klemme steckt, möchte schließlich, dass ihm geholfen wird und niemand nur tatenlos im Weg herumsteht.

Themenverwandte Links
wikipedia.org- Schaulustiger
polizei.nrw- "Gaffer" gefährden mit ihrer Sensationsgier das Leben anderer
bussgeldkatalog.de- Gaffer und Schaulustige