Was wir von Disney´s "Schneewittchen und die sieben Zwerge" lernen können

Im Internet finden sich zahlreiche (abstruse) Theorien zu dem Disney- Film Schneewittchen und die sieben Zwerge. Hier geht es um die Charaktere selbst, die ich ein wenig analysieren möchte.

Der erste abendfüllende Zeichentrickfilm von Walt Disney wurde bereits 1937 veröffentlicht und steckte vier Jahre in der Produktion. Die ersten Zeichnungen daran entstanden also schon 1933, die Vorlage selbst stammt von den Gebrüdern Grimm und wurde 1812 veröffentlicht. Demnach liegen zwischen der Buchveröffentlichung und dem ersten animierten Zeichentrickfilm zu dem Thema über einhundert Jahre (!). Im Zeichentrickfilm kommen tiefgründige Charaktere vor, denn Walt Disney kreierte seine Märchenverfilmung vorrangig für Erwachsene. Demnach lassen sich den Figuren viele menschliche Eigenschaften zuschreiben.

Schneewittchen

Schneewittchen ist die Stieftochter der Königin, die das (namenlose) Land regiert und somit eine Prinzessin. Am Anfang des Films sieht sie aber eher wie das später verfilmte Aschenputtel aus, da sie die Schlosstreppe in einem schmutzigen Kleid putzen muss. Doch schon in dieser Szene wird dem geneigten Zuschauer klar, dass Schneewittchen einen herzensguten Charakter hat, weil sie stets liebevoll mit den von ihr umgebenen Tieren (Tauben, Spatzen etc.) umgeht. Schneewittchen wird- wie die meisten wissen- von der Königin alles andere als gut oder menschlich behandelt, weshalb die Waldtiere ihr gewissermaßen eine Zuflucht bieten. Sie kann- zumindest gedanklich- aus ihrem tristen Leben ausbrechen und mit den Tieren spielen oder mit ihnen singen. Später, als sie bei den sieben Zwergen ist, sieht man, dass sie genauso liebevoll mit den kleinen Männern umgeht, die aufgrund ihrer Größe vom Leben benachteiligt sind und nicht etwa in der Stadt, sondern abseits von der Gesellschaft hinter den sieben Bergen wohnen.
Trotz ihrer schlechten Erfahrung, glaubt sie an das Gute, weshalb sie auf ihre Stiefmutter hereinfällt, die sie mit einem vergifteten Apfel umbringen will. Das junge Mädchen ist keinesfalls naiv, wenn sie die strahlend rote Frucht von der Alten entgegennimmt, denn sie vermutet einfach nichts Böses hinter dieser Geste. Sie glaubt an die große Liebe, die sie später in dem Prinzen auch findet. Vielleicht spürt sie, dass es diesem nicht nur um äußere Werte geht, denn sein Herz hat begonnen für sie zu schlagen, als ihres aufgrund des Apfels stoppte.

Der Jäger

ist finanziell von der Königin abhängig, weil sie ihm seine Dienste gut bezahlt. Meist drehen sich diese jedoch darum, Rehe im Wald zu erschießen, damit die Herrscherin ein Festmahl genießen kann. Der bitterböse Auftrag, Schneewittchen zu töten, lässt ihn deshalb mit seinem Gewissen hadern und erst einmal Einwände hervorbringen, ehe er von seiner Auftraggeberin mundtot gemacht wird. Zwar bereitet er alles für die Ermordung der Schönsten im ganzen Land vor, dennoch lässt er sie im entscheidenden Moment fliehen. Er verhilft ihr nicht nur zur Rettung, indem er sie laufen lässt, sondern lügt auch die Königin an, indem er ihr ein anderes als das geforderte Herz ihrer Stieftochter bringt.
Der Jäger ist definitiv ein positiver Charakter, vielleicht hat er bereits auf dem Weg in den Wald gewusst, dass er Schneewittchen nicht umbringen wird und von den sieben Zwergen gehört, die dort leben. Das ist keinesfalls abwegig, da der Jäger zum einfachen Volk gehört, welches sich gerne Geschichten erzählt. Er könnte durchaus einmal etwas in dieser Richtung aufgeschnappt haben, weswegen er wissen konnte, dass sie in dem furchterregenden Wald nicht sterben würde.

Die Königin

ist die Oberflächlichkeit und Bösartigkeit in Person, weswegen sie oftmals nur die böse Königin genannt wird. Sie verfügt im Schlosskeller über etliche Zauberbücher, magische Substanzen und hält dort sogar einen Raben. Um überhaupt in diesen Raum zu kommen, den sie vor den Angestellten ihres Schlosses und damit der Außenwelt geheim hält, muss sie an einem Verließ vorbei, in welchem die Skelette von ehemaligen Angestellten und Andersdenkenden liegen. Daran jedes Mal vorbei zu laufen, zeigt ihre Herzlosigkeit. Sie hat kaum soziale Kontakte, da sie alle von sich fernhält- ob dies wegen des Todes ihres Mannes (Schneewittchen´s Vater) oder mit einer anderen Geschichte zu tun hat, erfahren wir in dem Filmklassiker nicht.
Die böse Königin will selbst die Schönste im ganzen Land sein, weshalb sie auch nicht davor zurückschreckt, ihre Stieftochter- das letzte Überbleibsel ihrer Ehe- ermorden zu lassen. Aber sie will sich anfangs die Hände nicht selbst schmutzig machen und beauftragt den Jäger, was zeigt, dass sie Schneewittchen bloß als lästiges Übel ansieht. Als sie später vom Zauberspiegel erfährt, dass sie nur kurzzeitig die Schönste war, weil Schneewittchen noch lebt, beschließt sie, den unfähigen Jäger in den Kerker zu werfen und die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Nach ihrer Verwandlung in eine alte Frau sucht sie Schneewittchen auf und schenkt ihr einen Apfel. Um ihren Tod zu erreichen, sind ihr selbst einige Komplimente nicht zu viel, denn sie sagt ihr gegenüber, der Apfel wäre genau so schön wie sie.
Die Königin ist wahrlich eine Hexe. Nicht nur, dass sie sich täglich- wie bei einer Andacht- mit ihrem magischen Spiegel unterhält, nein, sie beherrscht auch die fiesesten Zauber und besitzt Substanzen, die anderen schaden können.

Die sieben Zwerge

sind bis auf Brummbär alle liebevolle Charaktere, doch selbst er hat seine guten Seiten, die man nur entdecken muss. Allen gemeinsam ist, dass sie ebenso wie Schneewittchen ein großes Herz haben und sie als Fremde bei sich aufnehmen. Sie stellen sich sogar der bösen Königin in den Weg, obwohl sie ihr rein körperlich betrachtet unterlegen sind. Die sieben Zwerge sind gewissermaßen Eigenbrötler. Sie haben sich von der Zivilisation abgekapselt, weil sie von dieser verstoßen wurden und wollen vermutlich auch nicht unter der Herrschaft der Königin leben, weshalb sie sich tief in den Wald zurückgezogen haben und dort ihrem Leben und sogar ihrer Arbeit im Bergbau nachgehen. Wohin sie die abgebauten Edelsteine allerdings liefern, kann dem Film nicht entnommen werden.
Die Zwerge weisen ähnliche Charaktereigenschaften wie Schneewittchen auf und sind ebenfalls sehr tierlieb, denn sie leben mit den Waldtieren zusammen.

Der Prinz

kommt aus einem anderen Königreich, in welchem Schneewittchen´s Stiefmutter nichts zu sagen hat. Er wirkt sehr menschlich und begibt sich auf die Suche nach dem verschwundenen Mädchen. Er sucht sogar die sieben Zwerge auf, die bei anderen als Aussätzige verschrien sind. Doch er verurteilt sie nicht, sondern nimmt sie so, wie sie sind. Als er später das scheinbar tote Mädchen sieht, verliebt er sich nicht in eine Tote- wie in einigen Theorien behauptet (tot ist sie ja gar nicht)- sondern in ein Mädchen, dass in ihrem jungen Leben so viel Schlimmes hatte durchleben müssen und offenbar einem Mord zum Opfer gefallen ist. Er will Schneewittchen helfen, weswegen er sie küsst und nur durch sein reines Herz wacht sie am Ende auf. Der Prinz will sie nicht noch einmal verlieren, will sie beschützen und sein Leben mit ihr verbringen, weshalb er sie am Ende heiratet und ihr seine ewige Liebe schwört.

Die Waldtiere

Auf der spannenden und dramatischen Verfolgungsjagd am Ende des Films wird den Zuschauern klar, dass die Tiere bedingungs- und ausnahmslos hinter Schneewittchen stehen. Zum Teil wahrscheinlich, weil sie sich stets liebevoll um sie gekümmert hat, zum Teil auch, weil sie ebenfalls einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn besitzen. Sie wollen nicht, dass dem Mädchen noch einmal etwas zustößt und wissen, dass die Königin vor nichts zurückschreckt, weswegen sie sie jagen, bis sie schließlich von einem Felsen stürzt. Dies war auch der letzte böse Zug der Königin, da sie ihre Verfolger zuvor noch mit einem großen Steinbrocken hatte überrollen wollen. Das Schicksal hat jedoch Gerechtigkeit ausgeübt, weswegen die Felsformation- auf der sie stand- einstürzte und sie hinabstürzen ließ. Die Tiere wollten keinesfalls ihren Tod, auch wenn sie erleichtert sind, dass die Königin Geschichte ist, sie wollten ihr lediglich zeigen, dass sie Schneewittchen nie wieder etwas Böses antun darf.

Fazit

Disney´s Schneewittchen und die sieben Zwerge wurde damals mit sehr viel Aufwand gedreht. Die Zeichner mussten teilweise immer wieder von vorne anfangen, da die Technik so sehr voranschritt, dass einige Szenen von Walt Disney neugedreht werden wollten. In dem Märchenklassiker sind alle negativen menschlichen Emotionen wie Neid, Hass, Missgunst, Gier und Todesrache vertreten, aber genau so auch die positiven wie Liebe, Gutgläubigkeit und Herzlichkeit- kurzum, alles was uns menschlich macht. Vielleicht funktioniert der Film deshalb nach wie vor so gut und zieht neben den Kindern auch viele Erwachsene in seinen Bann.
Wir lernen von dem Film, dass es auch in schweren Zeiten einen Ausweg gibt (der Jäger, die Zwerge, der Prinz, die Waldtiere) und dass manchmal das Schicksal den Rest zur Veränderung beiträgt (der Plan der bösen Königin ging trotz logischer Schlussfolge nicht auf, ihr Tod am Ende). Selbst wenn die Königin zum Schluss nicht gestorben wäre, hätte Schneewittchen ihr vermutlich verziehen, so wie es in anderen Filmversionen vorkommt, da sie keine Rachegefühle kennt. Das beweist, welch´ großes Herz sie besitzt.
Würde Schneewittchen in der heutigen Welt leben, wäre sie definitiv Veganerin, weil sie keinem Tier Leid antun kann. Sie würde keinen Pelz und kein Leder tragen, würde auf die Umwelt achten, Wege abseits von Social Media aufzeigen und viel Liebe in die Herzen und ein erhöhtes Bewusstsein für Ungerechtigkeit in die Köpfe der Menschen bringen. Von dieser Warte aus betrachtet, ist es schade, dass Schneewittchen leider nur ein (gutes) Märchen ist.